Die Industrie und die Supermarktketten liegen uns zu Füßen. Mit jeder Kaufentscheidung verfolgen sie penibel nach, was ich brauche und geben es mir. Ich bin der König des Supermarktes - oder etwa nicht?
Ich gehe wirklich gerne einkaufen. Heute war ich wieder in meinem Lieblingssupermarkt und habe alles bekommen, was ich mir gewünscht habe. Alles war an seinem Platz: Erst Obst und Gemüse, dann bekomme ich das passende Dressing in der Kühltheke, den Reibekäse für die Pizza, dann das Brot, die Nudeln, die Gewürze, den Mais, den Kaffee, die Hygieneartikel die Kühlsachen und - das darf momentan nicht fehlen - die Lebkuchen. Ein typischer Samstagmorgeneinkauf für den Rest der Woche. Da ist doch klar, dass die Leute im Supermarkt alles dafür tun, dass ich mich wohl fühle. Am liebsten würde ich mich bei dem selbstlosen Supermarktleiter persönlich bedanken.
Woher kommen dann die Zweifel? Es ist eine etwas zu perfekte Einkaufswelt, in die ich mich jede Woche erneut begebe. Ja, momentan fehlt immer das Toilettenpapier, aber dafür können Herr oder Frau Supermarkt nun wirklich nichts - Corona ist doof. Aber sonst scheint alles genau auf mich persönlich abgestimmt zu sein. Immerhin ist der Supermarkt meines Vertrauens der zweitgrößte Deutschlands mit einem Umsatz von 37,9 Milliarden Euro pro Jahr.(1) Geht es am Ende doch nur um Gewinnmaximierung? Und bin ich der einzige, dem manchmal Zweifel kommen? Oder zweifelst Du auch?
Mein Supermarkt will nachhaltig sein, daran glaube ich. Ich vertraue zwar niemandem, aber um mein Gewissen zu beruhigen - mein Herz schlägt für ein Maximum an Öko-Bewusstsein - schaue ich zumindest mal auf der Seite der Kette nach: Einer der sechs großen Navigationspunkte auf der Homepage heißt "Nachhaltigkeit" und hat gefühlt mehr Content als das eigentliche Kerngeschäft. Alles nur Greenwashing oder wissen sie wirklich, was ich will? "Du bist der Chef!" ruft mir die Milchtüte zu, man baut auf "Unverpackt" - ist das nicht eigentlich der Ökoladen bei mir um die Ecke? - "umweltfreundlichere Verpackungen" und kümmert sich ums "Mikroplastik". Mein Gewissen legt gerade die Füße hoch. Und dann denke ich an die regionalen Biomöhren, die ich heute früh gekauft habe: die waren nicht unverpackt.
Also doch alles nur ein Schwindel: Die Supermärkte wollen nur mein Geld. Und Deins. Laut utopia.de - und meine Einzelhändler werden mir da zustimmen - arbeiten Supermärkte gezielt mit schmutzigen Tricks, um das Wohlgefühl, das ich beim Einkaufen habe, bewusst herbeizuführen. Wie oft bin ich schon auf die roten Preisschilder hereingefallen oder habe einen Artikel doppelt gekauft, weil scheinbar wenige vorrätig sind? Die Experten im Einzelhandel wissen, wie sie mich ködern können. Zugegeben: bei mir klappen viele Tricks nicht, da ich routiniert einkaufe, einen Einkaufszettel dabei habe (meistens sogar im Kopf) und weiß, was ich will. Meine Routinen sind mir heilig. Und genau das ist es, was Andreas Winterer von utopia.de empfiehlt: "Geh nie ohne Einkaufsliste shoppen und halte dich stets an den Plan. Überlege dir, ob du die Ware aus einem Angebot wirklich brauchst – oder nur deshalb in die Einkaufsfalle tappen möchtest, weil dir gerade ein Preis unfassbar attraktiv erscheint." Diese Tipps seien allen ans Herz gelegt. (2)
Was wirklich helfen kann sind die Siegel, die man auf so vielen Verpackungen findet: Naturland, Demeter, FairTrade, Transfair, Blauer Engel und wie sie alle heißen. Dachte ich zumindest, denn Trick Nummer 5 bei Utopia stellt klar, dass viele Siegel irreführend oder gar veraltet sind. Haben wir nicht alle schon Mal gehört, dass die FairTrade Bosse mit ihren dicken Wagen vor der Firmenzentrale vorfahren. Mag sein, man kann sich als VerbraucherIn aber durchaus informieren (3), welche Siegel aktuell und stark sind. So findet man schnell heraus, dass Naturland und Demeter echte Bio-Siegel sind und die EG-Ökonorm nur rudimentär echte Nachhaltigkeit bietet (siehe Grafik). Oder zurück zum Thema Toilettenpapier: Die großen Marken haben gar kein Siegel, das ist auch mal ein Statement. Zumindest ein FSC oder ein Blauer Engel sollte uns von der Packung anlächeln.
Die schöne neue Siegelwelt ist zumindest gut für mein Gewissen, wenn auch schlecht für meinen Geldbeutel, denn Zertifizierung kostet Geld. Öko ist nicht nur eine Vorsilbe für Nachhaltigkeit. Doch ich bleibe dabei: Als VerbraucherIn kann man richtige Entscheidungen treffen. Es bringt nichts, den ganzen Tag zu grübeln, ob die regionalen Biomöhren in Plastik eingepackt sind, sondern dass man Schritt für Schritt in die richtige Richtung geht. Es kommt darauf an, mit anderen Menschen in den Dialog zu treten, sie - ohne ihre Nerven aufzureiben - an den eigenen Überlegungen und Schwierigkeiten teilhaben zu lassen und ihnen Mut zu machen, überhaupt den ersten Schritt zu gehen. Denn nichts ist schlimmer als die Ausrede: Was bringt es denn wenn ich mich jetzt richtig verhalte? Die andern machen das auch nicht, das ist zu wenig und die Leute in anderen Ländern machen das auch nicht und das ist viel schlimmer. Wohl kaum: Während wir noch über die Abschaffung von Gratisplastiktüten diskutieren, haben Kenia, Ruanda oder Tansania (5) Plastiktüten gleich ganz verboten. Mit etwas Hilfe von der Politik kann man allen also sagen: Geht doch! Dann ist man auch wieder König im Supermarkt.
Quellen:
(1) vgl. https://www.gevestor.de/details/die-10-groessten-supermarktketten-deutschlands-762657.html (07.11.2020)
(2) https://utopia.de/ratgeber/12-supermarkt-tricks/ (07.11.2020)
(3) Eine kleine Einführung gibt es unter https://utopia.de/siegel-guide/
(4) Die Übersicht der Siegel wurde von der Sendung quer erstellt und ist auf deren Facebookseite zu finden.
(5) https://www.gemeinsam-fuer-afrika.de/plastiktueten-afrika/ (07.11.2020)
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